Buddenbrook-Buchhandlung, Ladenraum.
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100 Jahre Buchhandlung im Buddenbrookhaus

100 Jahre Buchhandlung im Buddenbrookhaus

Das Haus in der Mengstraße 4, das wir so selbstverständlich Buddenbrook-Haus nennen, als hätte tatsächlich einmal eine Familie Buddenbrook darin gewohnt, verdankt seinen Namen einer Gesellschaft, die 1922 auf der alten Diele des Hauses eine Buchhandlung eröffnete. Zu den Gesellschaftern gehörten neben Thomas Mann eine Anzahl von Kaufleuten, Bankiers und Anwälten aus Lübeck, Aachen und Berlin. Den Grundstock an Büchern stellte die Gesellschafterin Bertha Frank aus ihrer ehemaligen Buchhandlung „Lübke und Nöhring" zur Verfügung. 

Die Eröffnung der Buddenbrook-Buchhandlung

Die Eröffnung fand am 04.03.1922 in der Diele der Mengstraße 4 statt, zu der Thomas Mann selbst nach Lübeck reiste, um die Eröffnungsrede zu halten. Der Ablauf der Eröffnung wurde von verschiedenen Lübecker Zeitungen festgehalten: 

„Um die Mittagsstunde am Sonnabend hatte sich die mehrhundertköpfige Gesellschaft auf der großen Kaufmannsdiele in dem alten, neben der Breitenstraße, Mengstraße Nr. 4 gelegenen Hause, in dem viele Jahre die einst angesehene Getreidefirma Johann Sigmund Mann und in dessen Obergeschossen der Inhaber, Senator Mann, mit seiner in den „Buddenbrooks“ so klassisch in Wahrheit und Dichtung geschilderten Familie ihren Wohnsitz hatte, versammelt. Thomas Mann erschien in Begleitung von Frau Ida Boy-Ed und Herrn Professor Anthes in der Zeltversammlung. Durch die Reihen der jüngeren Generationen ging ein Rauen, während die Älteren unter den Versammelten und gar manche Bekannte, ein freundliches Wort mitten in dem Gewoge mit dem großen Dichter wechselten. „Wissen Sie noch“ hieß es, „ich war gar manches Mal als Sie noch Kind waren in Ihrem väterlichen Hause?“ – Ach ja, ich erinnere mich. – Personennamen flogen hin und her – Fäden knüpften sich.“
(Lübeckische Anzeigen, 07.03.)

Zu Beginn der Eröffnungsfeier hielt Prof. Otto Anthes eine Rede über den geistigen Nutzen der Buchhandlung:

„Er bezeichnete das neugestaltete Haus als ein Denkmal das Lübeck seinem Dichter und Sohn errichtet habe, ein Denkmal, das nicht ein stummer Zeuge entschwundener Zeiten sein, sondern das in den alten Räumen das Leben der Gegenwart in sich aufnehmen und wirken lassen solle. Diese Gedanken seien hier verbunden worden: der Buchverbreitung eine reichere und würdigere Stätte zu schaffen, dem Haus eine ideell erhöhte Nutzbarkeit zu geben und den Dichter zu ehren, dessen Buch ein dauerndes Dokument des Hauses und seiner Vaterstadt bilde. Sehr hübsch schilderte der Redner ihre bedeutungsvolle Mission des Buchhandels, der mehr als jeder andere Handel mit der Vermittlung edler Güter sich befasse und den unschätzbaren Bildungswert des Buches selbst. Ein einziges Buch – so sagte er – kann zum Schicksaal für den Kaufenden werden.“ 
(Generalanzeiger, 05.03.1922)


Nachdem Stadtrat Dr. Plessing im Namen des Senats Thomas Mann begrüßt hatte, trat der Schriftsteller  hinter das Rednerpult, um die Eröffnungsrede zu halten:  

Thomas Mann, 1922 © ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Friedrich Müller / Theodor Hilsdorf / TMA_0067

Thomas Manns Eröffnungsrede:

Thomas Mann hielt seine Rede damals frei anhand von Notizen, die uns erhalten geblieben sind:

„Ein paar rednerisch anspruchslose Worte. Unverhofft baldiges Wiedersehen. Nicht ganz leicht, Kommen zu ermöglichen. Frankfurt, wo ich mit anderen Schriftstellern Zeugnis ablegen durfte für die Liebe zu Deutschlands größtem Dichter. Festtage, nach denen die Rückkehr zu ruhiger Arbeit nun eigentlich geboten gewesen wäre. Dennoch konnte, durfte, wollte ich mich nicht davon dispensieren, die Reise hierher zu tun, um heute hier unter Ihnen zu weilen. Es wäre mir undankbar erschienen, mich dessen zu entschlagen. Ich bin gekommen, um zu danken, bewegten Herzens: Ihnen, daß Sie gekommen sind, dieser kleinen Feier beizuwohnen, und denen, die die Idee, dieses alte Haus aus seinem Schlaf, der allgemach in Verfall u. Tod übergegangen wäre, zu neuem Leben zu wecken, in  die Dienste eines neuen, schönen, lebensvollen Zweckes zu stellen, und die diese Idee mit Energie, Umsicht und Opfermut zu verwirklichen im Begriffe sind. Unendlich rührend für mich, unter solchen Umständen wieder die Luft dieses Hauses zu atmen, an das sich für mich so  viele und glückliche Kindheitserinnerungen knüpfen. Und ich empfinde es als schön und sinnvoll, daß hier nun ein Buchhändler seine Zelte aufgeschlagen hat. Denn wie das Kaufmannsgeschlecht, das hier lebte, wirkte, litt und sich freute, und von dessen Schicksalen ich in meinem Familienroman  erzählt habe, in seinen späten Gliedern aus der realen Sphäre, der Sphäre praktischer Aktivität sich in die des Gedankens und der Kunst hinüberentwickelt hat, so soll denn sein Haus nun eine Stätte der Vermittlung geistiger Güter sein, eine Stätte, von der Bücher,Werke des Geistes und der Kunst ins Publikum  ausgehen sollen.
Wir wollen der Buddenbrook-Buchhandlung gute Geschäfte wünschen! Erstens, weil es um gute Geschäfte immer eine erfreuliche Sache ist,wie ich Lübeckern nicht zusagen brauche; dann aber auch, weil der buchhändlerische Geschäftszweig heute in Deutschland an Wichtigkeit und allgemeinem Interesse sehr gewonnen hat, – und dies ist der Grund, weshalb wir unseren Wunsch mit gutem Vertrauen in seine Erfüllung aussprechen können. Bücher werden heute in Deutschland gekauft und gelesen, schwere Gedankenwerke werden begierig aufgenommen, das geistige Bedürfnis ist groß, ist tief und weit durch alle Schichten verbreitet; das ist eine Erscheinung dieser schlimmen Zeiten, an der man sich freuen kann. »Wer weiß, wozu es gut ist.« Die Katastrophen haben doch nicht nur zerstört, sie haben viel Zukunft geöffnet, und neben der verelendenden Wirkung besteht zweifellos eine verjüngende. Deutschland ist heute jünger, jugendlicher, als vorher, aus frischeren Augen blickt es in die veränderte Welt, aus frischeren vielleicht, als die Siegervölker. Wir sind übel dran, aber die Welt der Möglichkeiten hat sich geweitet, da alles Schlimmste möglich war, ist auch das Beste und Schönste möglich; und mit dieser Empfindung der neuen, der geöffneten Zukunft, der unbegrenzten Möglichkeit hängt der Trieb des Denkens, Forschens, Lesens, das geistige Bedürfnis zusammen, von dem ich sprach. Möge auch die Buddenbrook-Buchhandlung Vorteil von diesem Zustande, diesem Bedürfnis haben, möge sie prosperieren zum Zeichen eines erfrischten und regsamen geistigen Lebens in Deutschland. In diesem Sinne entledige ich mich des mir gewordenen Auftrages und erkläre die B.-B. für eröffnet."

Pressezitate:

Die Veranstaltung wurde in vielen verschiedenen Lübecker Zeitungen dokumentiert und kommentiert. Es folgt ein kleines Best-OF der Pressezitate:

„Man kann getrost sagen, dass hier für Lübeck etwas Vorbildliches geschaffen worden ist, abweichend von dem üblichen Rahmen. In kurzer Zeit ist das in ziemlich verfallenem Zustand befindliche Gebäude einer Renovierung unterzogen worden, die es noch für lange Jahre wieder allen Stürmen trotzen lässt.“ - Lübeckische Anzeigen, 04.03.

„Wie ein Denkmal der Vergangenheit und Gegenwart möge die Buddenbrook-Buchhandlung eine Freude und sich stets erneuernder Gewinn für die Vaterstadt sein.“ - Lübecker Neueste Nachrichten (vormals Eisenbahnzeitung), 04.03.

 „Das Ganze macht einen kunsthistorischen Eindruck und wird besonders ein Anziehungspunkt für Fremde bilden.“ – Volksbote, 06.03.

„Die weiträumige Diele des Hauses, das bisher bekanntlich dem Fremdenverkehrs-Verein als Stätte diente, ist wirklich schön, würdig und behaglich für ihren neuen Zweck ausgestattet worden. Man hat ein sehr wohltuendes Gefühl der Raumwirkung. Die Regale mit den Büchern sind in Reihen so angeordnet, dass der Besucher zwischen ihnen herumgehen und die Bücher bequem betrachten kann. Auf breiten Tischen kann er in den Werken blättern und in einem oberen Raume, zu dem man auf einer Treppe hinaufsteigen kann, befindet sich noch eine kleine Lesestube. Der Bücherfreund findet hier seine Wünsche erfüllt“ - Generalanzeiger, 05.03.

„In voller Gesundheit, geistessprühenden Augen, elastischen Schrittes ist Thomas Mann der heute 47jährige vor uns getreten. Freuen wir uns, ihn als unsrigen begrüßen zu können, ihn von dem die deutsche Literatur noch manche schöne Blüte erwartet.“ – Lübeckische Anzeigen, 07.03

Auch Thomas Mann zeigte sich zufrieden mit der Eröffnung der Buchhandlung. So schrieb er kurz darauf in einem Brief an Ida Boy-Ed:

„Es war schön; ich bereue nichts. Diese Stunde in der alten Diele hatte es in sich, - ich fühle es, wie das zu gehen pflegt, jetzt lebendiger, als da gegenwärtig war.“

Die Buddenbrook-Abende

Die Buchhandlung weckte das Interesse der literarischen Klientel Lübecks durch ihre „Buddenbrook-Abende". Ins Leben gerufen wurden sie von dem Literaten und Historiker Dr. Fritz Endres, der auf Empfehlung Thomas Manns die literarische Leitung übernahm. 

Die Eröffnung der „Buddenbrook-Abende" fand am 24. Januar 1923 in der Diele des Mengstraßenhauses statt. Fritz Endres sprach in seiner Eröffnungsrede über Thomas Mann. Jedoch muss dieser Vortrag, wie vieles in Deutschland aus jener Zeit, kritisch betrachtet werden. So hieß es gleich zu Beginn bei Endres: „[...] am 6. Juni 1875 [wird Thomas Mann] als der Sohn eines lübischen Senators und Kaufherrn, eines deutschen Bürgers und einer südländischen romanischen Mutter geboren, eine Blutmischung, der man vielleicht einen zu großen Wert beigelegt hat. Denn bei Thomas Mann ruht der Akzent nicht auf dem mütterlichen, sondern auf dem väterlichen Erbe.“

Die „Buddenbrook-Abende" standen von Anfang an in einem für ihre Zeit charakteristischen ideologischen Spannungsfeld. Neben Lesungen von Arnold und Stefan Zweig sowie einer Gedenkfeier für Rainer Maria Rilke präsentierte man z.B. einen Vortrag über Die Grundkräfte der deutschen Seele im Spiegel neuerer Dichtkunst von Dr. Alfred Biese und Eugen Diederich sprach Über Verlegerberuf und Aufgaben deutscher Volksgemeinschaft

Hans Grimm, von den Veranstaltern der Abende angekündigt als der weithin bekannte „Dichter von Volk ohne Raum“, las 1929 die Novelle Der Richter in der Karu

 

1922:
-          Thomas Mann 
-          Alfred Biese 
1923:
-          Josef Ponten 
1924:
-          Rudolf Georg Binding 
-          Otto Anthes 
-          Wilhelm Schäfer 
-          Walter Riezler 
-          Midia Pines 
-          Börries Frhr. v. Münchhausen 
-          Albrecht Schaeffer 
-          Thomas Mann 
1925:
-          Walter von Molo 
-          Hans Prinzhorn 
-          Wilhelm von Scholz 
-          Eugen Diederichs 
-          Josef Ponten 
1926: 
-          Hanns Johst 
-          Stefan Zweig 
-          Ludwig Klages 
-          Käthe Kruse 
-          Heinrich Zimmer 
-          Leopold Weber 
-          Martin Andersen-Nexö 
-          Hans Carossa 
-          Carl Georg Heise 
1927: 
-          Hans Friedrich Blunck 
-          Rudolf Alexander Schröder 
-          Waldemar Bonssls 
-          Karin Michaelis 
1928: 
-          Rudolf Georg Binding 
-          Hans Franck 
-          Thomas Mann 
1929:
-          Hans Grimm 
-          Wilhelm von Scholz 
1930:
-          Hans Carossa 
-          Rudolf Alexander Schröder 
-          Jakob Wassermann 
-          Hermann Wirth 
1931: 
-          Frank Thiess 
-          Ina Seidel 
-          Edwin Erich Dwinger 
-          Felix Timmermans 
1932: 
-          Manfred Hausmann 
1933:
-          Ernst Wiechert 

vollständige Gästeliste

Während die Buddenbrook-Abende bis 1925 noch zahlreich und sehr gut besucht waren – eine Karte kostete bis zu 350 Mark – nahmen sie von 1926 an rapide ab. Es folgte ein Aufruf in den Lübeckischen Blättern an die „Literaturfreunde“, in dem sie dazu angehalten wurden, durch den Kauf eines Abonnements den Fortgang der Abende zu unterstützen und zu sichern. Jedoch führten die bestehenden finanziellen Schwierigkeiten schließlich dazu, dass die Buchhandlung Richard Quitzow die Buddenbrook-Buchhandlung in diesem Jahr übernahm. Die ursprünglich literarischen Abende wurden nun immer politischer. Hierin könnte man ein Motiv für den Rückgang der Besucherzahlen vermuten. Nach mehreren Versuchen die Abende aufrechtzuerhalten, fand die Buddenbrook-Buchhandlung 1929 jedoch aus bis heute nicht völlig geklärten Gründen ihr Ende. Ein Hauptgrund war wahrscheinlich die damalige Wirtschaftskrise, es steht jedoch auch zu vermuten, dass die Veränderung des politischen Klimas zu einer Distanzierung von Thomas Mann geführt hatte. 

Nach der Schließung der Buchhandlung 1929 zog eine Garten- und Samenhandlung in die Mengstraße 4. Die  „Buddenbrook-Abende" wurden jedoch noch bis 1933 fortgesetzt.


Buddenbrook-Buchhandlung, Ladenraum.

© ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Friedrich Müller / Theodor Hilsdorf / TMA_0067





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