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 Literatur zum Anfassen

Ein Roman kehrt an den Ort seiner Handlung zurück. Diese Idee durchzieht die Dauerausstellung Die „Buddenbrooks" - Ein Jahrhundertroman. In dem Haus, in dem große Teile von „Buddenbrooks" spielen, werden dem Besucher Entstehung, Handlung und Wirkung von Thomas Manns nobelpreisgekröntem Roman präsentiert. Dabei wurde eine Literaturausstellung neuen Typs entwickelt, die das Spektakuläre mit dem Wissenschaftlichen verbindet und der ein Grundgedanke der Kunstauffassung Thomas Manns zugrunde liegt.

Gemeint ist das Prinzip der „doppelten Optik", ein Begriff, der zuerst bei Nietzsche auftaucht und mit dem er die musikalische Kunst Richard Wagners beschreibt. Den Besuchern der Ausstellung wird ein allgemeiner Überblick über die „Buddenbrooks" geboten, der mit Hilfe von Hörinseln und Lesepult vertieft werden kann. Wer mehr möchte, kann sich in Material- und Wissensschichten „eingraben", die die virtuelle Ausstellung anbietet. Sie bedient sich vieler Medien, um ihre Inhalte zu vermitteln, die zentrale Botschaft aber heißt: Man muss den Roman in die Hand nehmen und lesen, um in den vollen Genuss seiner literarischen Qualitäten zu kommen.

Der Hauptschauplatz von „Buddenbrooks" ist Lübeck.

Obwohl der Name des „mäßigen Handelsplatzes an der Ostsee" nicht einmal genannt wird, gibt es keine Straße, keinen Platz, keinen Ort in dieser Romanstadt, der sich nicht in Lübeck lokalisieren ließe. Im Zentrum des Romans steht das Haus in der Mengstraße 4. Genau in jener Etage und hinter genau den Fenstern des Hauses, wo die Familie Mann Mitte des 19. Jahrhunderts eine Belétage bewohnte, befindet sich eine Ausstellung über eine Romanfamilie, die - wie von Thomas Mann beschrieben - vis à vis der Marienkirche in einem „Landschaftszimmer" und einem „Speisesaal" mit „Götterfiguren" sitzt.

„Buddenbrooks" ist keine kulturgeschichtliche Chronik, sondern ein literarisch hochartifizielles Spiel des jungen Thomas Mann mit den damals noch populären, aber in der Zeit um 1900 schon umstrittenen Schreibweisen des Naturalismus und des Realismus. Das Interesse des jungen Dichters gilt der wahrhaftigen Darstellung von inneren, von psychischen Zuständen und Entwicklungen seiner Figuren. Er schildert Seelenlandschaften auch dort, wo er vordergründig Wohnräume beschreibt. Und er vermittelt manchmal Atmosphäre um den Preis, dass weder der historischen noch der sachlichen Wahrheit Genüge getan wird.

Unsere Inszenierung geht dabei von folgenden Voraussetzungen aus: Veranschaulicht werden soll die Lebenswelt der Romanfamilie Buddenbrook und nicht die der Familie Mann.

Und weiter: Sprachwelt ist übersetzbar in materielle Anschauung, wenn die materielle Übersetzung selbst Züge poetischer Sprachwelt aufnimmt.

Die erste Abteilung der Ausstellung heißt DAS BUCH (1901-2000).

Am 18. Juli 1900 hatte Thomas Mann die dreijährige Arbeit an seinem Roman beendet. Die Korrektur des Entwurfs wurde im März 1901 begonnen. Im Oktober desselben Jahres erschien die zweibändige Erstausgabe der „Buddenbrooks", die sich aber nur mäßig verkaufte. Erst mit der einbändigen Ausgabe von 1903 wurde der Roman zu einem Verkaufserfolg: 1905 waren bereits 35.000 Exemplare verkauft worden, 1920 über 100.000. Bereits 1924 gab es im Nobelpreiskomitee der Schwedischen Akademie in Stockholm Überlegungen, Thomas Mann vor allem für seinen Roman „Buddenbrooks" auszuzeichnen. Fünf Jahre später war es soweit: Am 12. November 1929 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zuerkannt. Nun übersprangen die Verkaufszahlen abrupt die Millionengrenze. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft stagnierte der Absatz und kam erst nach 1945 wieder allmählich in Gang. Heute bewegt sich das Interesse an dem Roman auf einem relativ hohen Niveau.

Die zweite Abteilung ENTSTEHUNG zeigt eine Auswahl an Büchern, die für die Entstehung der „Buddenbrooks" von Bedeutung waren. Dazu zählen vor allem Werke, die Thomas Mann zwischen 1897 und 1900 zur Darstellung bestimmter Szenen und Motive inspirierten; von den Autoren müssen vor allem Henrik Ibsen und Arthur Schopenhauer erwähnt werden. Die Station stellt auch dar, wie die Ereignisse sich nach dem Tod des Senators Thomas Mann, am 13. Oktober 1891, entwickelten: Die Witwe Julia zog 1893 mit ihren Kindern nach München, nur Thomas musste in Lübeck bleiben, um die Untersekunda zu wiederholen. Eine Serie von familiären und sozialen Begebenheiten trugen dazu bei, dass Thomas Mann Ende März 1894 seine Geburtsstadt Lübeck verließ. 1897 machte der Verleger Samuel Fischer dem jungen Autoren die Mitteilung, noch im selben Jahr seinen ersten Novellenband herauszubringen und bot ihm gleichzeitig an, einen Roman zu veröffentlichen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Thomas Mann mit seinem Bruder Heinrich in der Casa Bernadini in Palestrina, doch die Niederschrift des Romans begann in Rom, wo die Brüder ab Oktober 1897 wohnten. In diesen Monaten füllten sich die Notizhefte und Zettel mit Vorarbeiten.

Die dritte Abteilung betrachtet DAS INNERE DES ROMANS. Die zeitgenössische Kritik sah in den „Buddenbrooks" entweder einen Gesellschaftsroman in der Tradition realistischen und naturalistischen Erzählens oder ein Buch über die Künstler-Bürger-Problematik, die im Zusammenhang mit der Dekadenzphilosophie Friedrich Nietzsches steht. 1949 schlägt Georg Lukács eine marxistische Interpretation vor. In jüngster Zeit wurden sowohl der Einfluss der Philosophie Schopenhauers als auch die Nähe des Erzählwerks zur Musik Richard Wagners diskutiert. Neben den möglichen Lesarten betrachtet die Abteilung auch die Romanorte und -figuren. Über vier Generationen verfolgt der Leser die Geschicke der Kaufmannsfamilie Buddenbrook, die im 18. Jahrhundert aus dem Mecklenburger Land zugewandert ist. Darüber hinaus führt Thomas Mann in den Roman mehr als 400 Neben- und Randfiguren ein. Viele Lübecker Bürger meinten, sich und ihre Mitbürger in den Figuren des Romans wiederzuerkennen und erstellten sogenannte Schlüssellisten.

Die folgende Abteilung trägt den Titel BELÉTAGE BUDDENBROOKS. Hier findet der Besucher den „Speisesaal" und das „Götterzimmer" so nachgebildet, wie sie im Roman beschrieben werden. Außerdem sind in einer Vitrine Originalexponate aus dem Familienbesitz der Manns zu sehen. Im 18. Jahrhundert waren die Manns angesehene Kaufleute in Rostock. 1790 eröffnete Johann Siegmund Mann ('der Ältere') einen Comissions- und Speditionshandel in Lübeck. Sein Sohn Johann Siegmund ('der Jüngere') erwarb 1842 das Haus in der Mengstaße 4.

Die letzte Abteilung heißt BUDDENBROOKS UND KEIN ENDE und zeigt Theateraufführungen sowie Film- und Fernsehbearbeitungen des Romans. Zu sehen sind die Theateraufführung des Stücks „Buddenbrooks" in Basel von 1976 und drei Verfilmungen: Die erste Kinoadaptation von 1923 bezeichnete Thomas Mann als „strohdummes ... Kino-Drama ...", er unterstützte sie aber aus finanziellem Interesse. Es folgten eine weitere Verfilmung von 1959 und ein elfteiliger Fernsehfilm, der 1979 ausgestrahlt wurde.

Weihnachten bei Buddenbrooks

Enthüllung der Belétage

Zu Weihnachten erstrahlt das Götterzimmer in festlichem Glanz - die enthüllten Möbelstücke und der, getreu dem Roman, mit Lilien geschmückte Weihnachtsbaum verzaubern die Belétage!