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Text 7 von Siri Ratjen

Untertanen-Mentalität – eine immer noch bewährte Strategie, um erfolgreich zu sein 

von Siri Ratjen

Der Mensch sehnt sich immer nach einer Form der Ordnung, etwas, an das er sich halten, nach dem er sich richten kann. Jemanden, der ihn in seine Schranken weist. Gleichzeitig verspürt er aber auch den Drang, jemanden unter sich zu haben. Jemanden, den er in seine Schranken weisen kann.  Diederich Heßling, der Hauptcharakter in Heinrich Manns Der Untertan ist hierfür ein Paradebeispiel. Einerseits folgt der kleinstädtische Papierfabrikant bedingungslos dem Kaiser Wilhelm II., andererseits unterdrückt er diejenigen, die einen vermeintlich niedrigeren Rang haben und arbeitet sich so zum Erfolg hoch. Diese Untertanen-Mentalität ist im menschlichen Denken und in unserer Gesellschaft auch heute noch verwurzelt und deshalb ist Heinrich Manns Roman, welcher Diederich Heßling als masochistisch-sadistischen Untertanen kritisiert, auch hundert Jahre nach seinem Erscheinen hochaktuell. 

Er ist ein Klassiker, den man aufgrund seiner erschreckenden Aktualität gelesen haben sollte. Zwar wirke klassische Lektüre wegen ihrer mittlerweile ungebräuchlichen Wortwahl und scheinbar fernliegenden Thematiken zunächst etwas abschreckend, merkt Tilman Spreckelsen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" an, aber das ist beim Untertan nicht der Fall. Die Sprache ist leicht zugänglich und der Inhalt beim ersten Lesen zu erfassen. Rolf Schneider schreibt in einem Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Klassikern die Aufgabe zu, ein Abbild der jeweiligen Zeit vorzustellen, ein „Dokument der Zeitgeschichte“ zu sein, wie es auch Alfred von Fischel 1918 in einem Brief an Heinrich Mann formuliert. Und diese Aufgabe erfüllt Der Untertan. Er erzählt mit einer besonderen Anschaulichkeit von der Wilhelminischen Kaiserzeit, mit Diederich Heßling als Beispiel für die damalige Gesellschaft. Rolf Schneider hebt hierbei hervor, dass es Heinrich Mann gelinge, Politik und Literatur auf eine angemessene Art zu verbinden, „ohne das genuin Literarische dabei zu beschädigen“. Eben weil Heinrich Mann mit dem Roman Der Untertan dies schafft, gilt dieser heute als Klassiker, wobei Tilman Spreckelsen anmerkt, dass Werke erst nachträglich zu Klassikern würden, weil sie noch immer eine Botschaft vermitteln, von der wir immer noch lernen können. Denn Klassiker beschränken sich nicht nur darauf, die Geschehnisse ihrer Zeit für die Nachwelt exakt nachvollziehbar wiederzugeben, wie es Erich Mühsam in seinem Appell an den Geist fordert. Sie sind viel mehr als nur eine Abbildung der damaligen Zeit. Sie behandeln allgemeingültige, gesellschaftliche Phänomene und Probleme. Und dies trifft auch auf den Untertan zu. Heinrich Mann war 1922 davon überzeugt, wie er es in einem Brief an Paul Hatvani formulierte, dass die „menschlichen Verhältnisse“, wie er sie in seinem Roman aufzeigt, überall zu finden seien. Der Roman ist also ein zeitloses Werk, dessen „Wahrheit“ man auch in der „heutigen Zeit“ noch prüfen könne, wie es Rolf Schneider ausdrückt.

Demnach gibt es die Untertanen-Mentalität auch heute noch, wenn auch in abgeschwächter Form. Heute definiere sich ein Untertan dadurch, einer Macht bedingungslos zu folgen, sagte Marina Münkler 2021 im Deutschlandfunk. Es muss schließlich nicht zwingend eine Person sein, der man ohne zu hinterfragen folgt, sondern kann ebenso die Gier nach Geld oder Ansehen (Macht) sein. In unserer gegenwärtigen Gesellschaft mag es einen Diederich Heßling, der einen Kaiser anbetet, nicht mehr geben, trotzdem kommt es immer wieder zu masochistisch-sadistischen Strukturen. In Der Untertan wird eine bestimmte gesellschaftliche Hierarchie in Diederich Heßling gespiegelt, der sich durch sein sowohl unterwürfiges als auch egoistisches Verhalten immer weiter an die Spitze kämpft. Auch heute gibt es solche Strukturen teilweise noch. Beinahe überall, wo Menschen aufeinandertreffen, entstehen irgendwann Hierarchien: in Schulen, in Betrieben mit dem Vorgesetzen, der wiederum seinem Chef unterworfen ist und gleichzeitig seine Macht gegenüber den Angestellten spüren lässt. 

Wenn wir den Untertan lesen, dann empfinden wir zumeist eine tiefe Abscheu gegenüber dem Hauptcharakter Diederich Heßling, betrachten mit tiefem Widerwillen seine grenzenlose Besessenheit für den Kaiser und das Aufspielen Untergebenen gegenüber. Aber im Grunde ist es doch so, wie nicht wenige Menschen denken. Denn eigentlich ist es immer wieder diese Art, wie der Mensch handelt, also auf eine sehr ignorante, egoistische Art, um erfolgreicher zu werden, wie es eben auch Diederich Heßling tut, indem er sich den vermeintlich höhergestellten Leuten unterwirft.  Der Untertan ist also ein Klassiker, den man gelesen haben muss, weil er eben auch heute noch, in unserer liberalen Gesellschaft eine hohe Aktualität aufweist und eine wichtige Botschaft zu vermitteln vermag.

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