Das Haus der Literatur
Das Buddenbrookhaus in der Literatur bei Thomas Mann
»Konsul Buddenbrook stand, die Hände in den Taschen seines hellen Beinkleides vergraben, in seinem Tuchrock ein wenig fröstelnd, ein paar Schritte vor der Haustür und lauschte den Schritten, die in den menschenleeren, nassen und matt beleuchteten Straßen verhallten. Dann wandte er sich und blickte an der grauen Giebelfassade des Hauses empor. Seine Augen verweilten auf dem Spruch, der überm Eingang in altertümlichen Lettern gemeißelt stand: ›Dominus providebit‹. Während er den Kopf ein wenig senkte, trat er ein und verschloß sorgfältig die schwerfällig knarrende Haustür. dann ließ er die Windfangtüre ins Schloß schnappen und schritt langsam über die hallende Diele.«
(Buddenbrooks, Teil I, Kapitel 9).
Mit dem Erscheinen des Romans Buddenbrooks von Thomas Mann wurden dieses Haus bekannt. Das »Haus in der Mengstraße 4« oder im Volksmund das »Buddenbrookhaus« (in Anlehnung an die von Thomas Mann porträtierte Romanfamilie) sind heute zwei verschiedene Bezeichnungen für dasselbe Gebäude. Jedoch spiegeln sich in diesen Titulierungen Unterschiede: Das Haus im Roman, es heißt dort nicht das Buddenbrookhaus, ist ein fiktives Gebäude und tritt nur in der Romanwelt in Erscheinung. Dass es deutliche Ähnlichkeiten mit dem Haus der Großeltern Thomas Manns in der Mengstraße 4 hat, aber ebenso eindeutige Unterschiede, soll im Folgenden angesprochen werden.
Auch in anderen Romanen und Erzählungen des Nobelpreisträgers finden sich Anklänge an die Hansestadt und das Haus in der Mengstraße, jedoch treten sie in Buddenbrooks am deutlichsten hervor. Das wiederholte Erscheinen in den Werken mag daran liegen, dass Thomas Mann die Kinderzeit in Lübeck mit Weihnachts- und Familienfesten bei den Großeltern in der Mengstraße als prägend empfunden haben mag. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass von ihm dabei manches verklärt wiedergegeben oder dem Haus angedichtet wird, was nicht den Realitäten entspricht. Thomas Mann hatte nicht beabsichtigt, mit Buddenbrooks eine originalgetreue, historische Schilderung zu liefern, die Brauchtums- und Heimatforschern Genüge tut - er erfindet im Gegenteil eine eigene Familien-, Bewohner- und Baugeschichte für sein Romanhaus.
1. Eigentümer und Bewohner
Das Romanhaus wird im Jahr 1682 durch Familie Ratenkamp erbaut und schon hier wird der Unterschied zum real existierenden Haus deutlich:
Kurz vor dem Einzugsdatum der Familie Buddenbrook, die zu diesem Zeitpunkt zu den reichsten der Stadt gehört, hatte es der neue Hausherr für 100.000 Courantmark (eine für das historische Lübeck unrealistische Summe) erworben. Der Einzug in die Mengstraße findet im Oktober 1835 statt, nachdem die Belétage neu eingerichtet worden war. Alle Möbel und Bezüge im Landschaftszimmer passen zueinander und zum Gelb der Sonnenuntergänge auf den Bildern.
Bis zu diesem Zeitpunkt wohnte die Romanfamilie in der Alfstraße unterhalb der Marienkirche im sogenannten Kaufleuteviertel in einem kleinen Haus. Nun bezieht sie in der Mengstraße ein großes Haus mit Garten und Nebengebäuden, das sich außerdem durch Weitläufigkeit im Innern auszeichnet. Die neue soziale, wirtschaftliche und kulturelle Hochrangigkeit der Familie wird durch die auffällig gestaltete Fassade, die Lage des Hauses auf dem Höhenrücken der Stadt und die direkte Nachbarschaft zur Marienkirche deutlich unterstrichen. Durch zwei markante Pinselstriche hat Thomas Mann das Romanhaus von seinem Vorbild getrennt:
- durch die schmale Eingangstür im realen Haus von 1758 rollen im Romanhaus von 1682 »große Wagen«, »beladen mit Getreidesäcken«. Also besitzt das Haus im Roman ein großes Portal.
- Das Grundstück des Romanhauses reicht von der Mengstraße bis zur Beckergrube, wo ein Quergebäude steht, dass Hermann Hagenström nach dem Kauf des Anwesens 1872 abreißen und durch ein modernes Geschäftshaus mit Verkaufsräumen in der Beckergrube ersetzen lässt. Das Romangrundstück ist damit um einiges größer, als die Parzelle Mengstraße 4 je war.
2. Baustruktur und Nutzung – Roman und Realität
Anhand der Schilderungen des Familienlebens lassen sich verschiedene Bereiche im Haus unterteilen. Es dient zunächst als Lager von Handelswaren (Getreide) und mit den Kontoren im Erdgeschoss als Geschäftshaus. Dazu kommt seine Funktion als Wohnhaus der wohlhabenden Familie mit ihrem Personal und schließlich ist es auch ein Treffpunkt für Familienangehörige, aber auch für Geistliche, es ist Veranstaltungsort der Sonntagsschule und von Lesungen.
Näher geschildert werden jedoch nur die Zimmer der Belétage mit Säulenhalle, Landschaftszimmer und Speisesaal. Hier ereignen sich die für den Romanfortgang entscheidenden Dinge: Feste, Verlobungen, Trauungen, Weihnachten, Geschäftsbilanzierungen, Streit, Aufbahrung. Im Roman spielen sich in dieser Etage die kleineren alltäglichen und die größeren festlichen Anlässe ab. Bei den Manns hingegen war die Belétage allein festlichen Gelegenheiten vorbehalten.
Die im Roman geschilderte Belétage lässt sich mit dem Grundriss des historisch belegten Mannschen Hauses durchaus in Übereinstimmung bringen. Die Interieurs und Dekorationen widersprechen jedoch zum Teil dem, was durch die noch erhaltenen Fotos und Dokumente belegt werden kann.
a) Säulenhalle
Die reale Säulenhalle war ein vielfarbiger Festraum, der durch Landschaftstapeten geschmückt war. Dies ergibt sich aus einem Gedicht von Maria Sophie Weichbrodt zu Ehren des 100-jährigen Bestehens des Hauses im Jahre 1859. Die Säulenhalle im Roman ist ganz farb-und fast gestaltlos.
Sie dient als Zugang zum Landschaftszimmer und zum Speisesaal oder als Durchgangszimmer – über die Ausstattung lässt sich nur wenig in Erfahrung bringen. Es werden lediglich vier Säulen erwähnt, um deren eine sich eine Sitzbank windet. Des weiteren dient sie an Weihnachten als Zuschauerraum für die Hausarmen und Dienstboten, letztere verweilen auch während der Morgen- und Abendandachten dort (bei Hannos Weihnachten sogar als Esssaal), bei Hochzeitszeremonien ist hier der Altar aufgestellt, und das Zimmer ist Sammelpunkt für die Kondolierenden.
Die Säulenhalle hat nicht die Familiarität des Landschaftszimmers oder die Abgeschlossenheit des Esssaals – sie wird bei privaten Feiern und bei öffentlichen Anlässen gleichermaßen einbezogen.
b) Landschaftszimmer
»Die starken, elastischen Tapeten, die von den Mauern durch einen leeren Raum getrennt waren, zeigten umfangreiche Landschaften, zartfarbig wie der dünne Teppich, der den Fußboden bedeckte, Idylle im Geschmack des achtzehnten Jahrhunderts [...] Ein gelblicher Sonnenuntergang herrschte meistens auf diesen Bildern, mit dem der gelbe Überzug der weißlackierten Möbel und die gelbseidenen Gardinen vor den beiden Fenstern übereinstimmten.«
Weiter schildert der Erzähler im Roman die Ausstattung dieses Zimmers mit Möbeln, einem Harmonium und einem Flötenbehälter, steifen Armstühlen und einem Ofen aus blankem Schmiedeeisen. Im Landschaftszimmer wartet die Familie auf das Eintreffen der Gäste, Feste beginnen und enden meist hier. Die Atmosphäre ist weniger offiziell als beim Festhöhepunkt, dem Essen im Speisesaal mit den Götterfiguren, jedoch finden in diesem Raum auch ernste Unterredungen zwischen den Familienmitgliedern statt, die bis zu gefühlsgeladenen Auseinandersetzungen reichen können. Die repräsentative Funktion des Zimmers als Empfangsraum für Gäste tritt immer häufiger in den Hintergrund, und wird mehr und mehr mit wichtigen innerfamiliären Ereignissen und damit mit Intimität und Gefühl verknüpft. Vor allem für Tony stellt es die wichtigste Zuflucht und das Herzstück des Hauses dar. Der Eindruck dieses Raumes ist auch noch vierzig Jahre nach dem Kauf des Hauses beeindruckend, und so will Hermann Hagenström 1872 vor allem auch wegen des Landschaftszimmers das Haus kaufen.
c) Speisesaal mit Götterfiguren
»Aus dem himmelblauen Hintergrund der Tapeten traten zwischen schlanken Säulen weiße Götterbilder fast plastisch hervor. Die schweren roten Fenstervorhänge waren geschlossen, und in jedem Winkel des Zimmers brannten auf einem hohen, vergoldeten Kandelaber acht Kerzen, abgesehen von denen, die in silbernen Armleuchten auf der Tafel standen. Über dem massigen Büffet, dem Landschaftszimmer gegenüber, hing ein umfangreiches Gemälde, ein italienischer Golf, dessen blaudunstiger Ton in dieser Beleuchtung außerordentlich wirksam war. Mächtige steiflehnige Sofas in rotem Damast standen an den Wänden.«
Der Ess- oder Speisesaal ist der literarisch gestaltete Höhepunkt der Belétage: die weihnachtliche Prozession zieht vom Landschaftszimmer durch die Säulenhalle in den Saal. Hier finden die großen Essen und Feiern statt. Doch dieser oft mit dem Himmel gleichgesetzte Raum, in dem die Konsulin Buddenbrook Jerusalems-Abende veranstaltet, ist nicht nur das Paradies auf Erden, sondern auch Ort des Todes. Hier werden die toten Familienmitglieder aufgebahrt. Mit der fortwährend schrumpfenden Tafelrunde ist der Raum auch ein Schauplatz des Untergangs.